Wenn Leidenschaft zum Geschäftsmodell wird: Paul Raufeisen und der Mut zur Selbstverwirklichung
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In einer Zeit, in der viele junge Menschen zwischen Sicherheit und Selbstverwirklichung schwanken, gibt es Geschichten, die Mut machen. Paul Raufeisen, Gründer der "my Music Company" in Erfurt, ist ein solches Beispiel. Seine Reise vom Masterstudenten zum erfolgreichen Musikunternehmer zeigt, wie aus einer tiefen Leidenschaft ein florierendes Geschäft entstehen kann – und welche Herausforderungen dabei zu meistern sind.
Der Moment der Wahrheit: Studium abbrechen für einen Traum
Mit 15 Jahren bat Paul seine Mutter um eine Gitarre zum Geburtstag. Was als Teenager-Wunsch begann, entwickelte sich schnell zu einer alles verzehrenden Leidenschaft. "Es war wie ein Ventil", erinnert sich Paul. "Nach Hause gekommen aus der Schule, Ranzen in die Ecke geflackt, zack die Gitarre genommen und erst mal so ein Output gemacht."
Trotz dieser frühen Begeisterung wählte Paul zunächst den konventionellen Weg: Abitur, Bachelorstudium in Kommunikationswissenschaft in Erfurt, dann ein Masterstudium in Leipzig. Doch während seiner Masterstudienzeit kam der entscheidende Moment. Im Hörsaal sitzend, merkte er: "Wenn ich das jetzt fertig mache, was mache ich denn dann? Gehe ich dann in irgendeinen Job, irgendeine Firma, werde dann irgendwann fragen, ob ich Urlaub machen darf?"
Der Mut zur Entscheidung kam spontan: "Entschuldige, habe ich zu meiner Kommilitonin gesagt damals, ich glaube, du musst das Referat alleine halten. Ich höre auf." Die Reaktion seiner Kommilitonin überraschte ihn: "Wenn ich auch nur ansatzweise so eine eigene Idee hätte, ich würde es auch verfolgen. Ich finde das so cool."
Das Heldenhafte im Alltäglichen
Was macht jemanden zu einem "Eastside Hero"? Für Paul liegt die Antwort in der kontinuierlichen Verantwortungsübernahme: "Das Heldenhafte besteht darin, kontinuierlich Verantwortung zu tragen. Das ist zum einen der Mut, was anzufangen, was in Bewegung zu bringen, was von der Idee im Kopf in die Tat umzusetzen und dann aber dran zu bleiben."
Diese Definition von Heldentum ist bemerkenswert bodenständig. Es geht nicht um große Gesten oder dramatische Momente, sondern um die tägliche Entscheidung, Verantwortung zu tragen und durchzuhalten – auch wenn der "Rucksack schwerer wird" durch Kredite, Verpflichtungen und die ständige Sorge um das Unternehmen.
Die Fusion von Wirtschaft und Leidenschaft
Pauls Geschäftsmodell basiert auf einer einfachen, aber kraftvollen Idee: "Wie kann ich das Wirtschaftliche mit der Leidenschaft verbinden?" Die Antwort fand er in der Gründung einer Premium-Musikschule, die weit mehr bietet als nur Unterricht.
In den liebevoll gestalteten Räumlichkeiten unweit des Erfurter Bahnhofs entstand ein Ökosystem aus verschiedenen Dienstleistungen:
Musikunterricht in Wohnzimmer-Atmosphäre
Ein professionelles Tonstudio
Musikervermittlung für Events
Raumvermietung für verschiedenste Veranstaltungen
Bandcamps und Ferienwochen
"Du willst eine Umgebung, in der du dich wohlfühlst", erklärt Paul sein Konzept. "Dann kannst du erstmal loslassen und sagen, okay, hier fühle ich mich schon mal per se wohl, egal was jetzt hier passiert."
Geld verdienen ohne schlechtes Gewissen
Ein Aspekt, der Paul besonders am Herzen liegt, ist die Enttabuisierung des Geldverdienens: "Man muss sich nicht schämen dafür, den Gedanken zu sagen, ich möchte Geld verdienen. Ich möchte gerne ohne Sorge morgens aufwachen und morgens wieder einschlafen."
Diese offene Haltung zum kommerziellen Erfolg ist gerade in Ostdeutschland nicht selbstverständlich. Paul sieht darin jedoch keinen Widerspruch zu seinen künstlerischen Werten: "Wenn du mehr Schüler hast, hast du mehr Geld. Okay, cool. Mehr Geld, stinkt das? Nein, stinkt nicht. Wenn, dann stinkt dein Charakter."
Die Herausforderungen des Unternehmertums
Zwölf Jahre nach der Gründung reflektiert Paul ehrlich über die Schwierigkeiten des Unternehmerlebens. "Eines der größten Themen als Unternehmer ist das Stichwort Überforderung", gibt er zu. Die ständige Jonglage zwischen verschiedenen Rollen – Unternehmer, Musiker, Familienvater – erfordert kontinuierliche Selbstreflexion.
Besonders die Corona-Zeit stellte das Geschäftsmodell auf den Prüfstand. Doch auch hier zeigte sich Pauls pragmatische Herangehensweise: "Es gab gar keine andere Möglichkeit. Also haben wir es auch hingekriegt" – durch schnelle Umstellung auf Online-Unterricht und kreative Lösungen.
Ein weiterer Lernprozess waren die finanziellen Aspekte: "Ich habe unterschätzt, dass Kredite, die man nimmt, eine Langzeitwirkung haben und nicht in die Steuer einfließen." Solche praktischen Erkenntnisse, so Paul, gehören zum "Lehrgeld" dazu, das jeder Unternehmer zahlen muss.
Die Kraft der Gemeinschaft
Was Paul besonders auszeichnet, ist sein Verständnis für die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen. "Es ist so, dass du einfach sagst, na klar höre ich dir zu, na klar helfe ich dir, egal wie schlecht es mir geht, ich habe sogar noch die Energie jemandem zu helfen."
Diese Haltung spiegelt sich auch in seinem Führungsstil wider. Mit einem Team von 50 Menschen legt er Wert auf persönlichen Austausch, Wertschätzung und gemeinsame Vision. "Das Team hat eine gemeinsame Vision, die es als Team erfüllen will", erklärt er sein Erfolgsrezept.
Mindset als Schlüssel zum Erfolg
Pauls Philosophie basiert auf einer entscheidenden Erkenntnis: Die eigene Einstellung bestimmt, wie wir mit Herausforderungen umgehen. "Ich habe vielleicht eine Tonne Sorgen auf den Schultern. Und ich entscheide jetzt, wie ich trotzdem aufstehe. Stehe ich auf und sage, die Tonne ist so scheiße schwer. Oder sage ich, ja, die Tonne ist da, ich sehe sie. Und ich kann trotzdem lächelnd im Fahrstuhl stehen."
Diese positive Grundhaltung ist nicht naiv, sondern bewusst gewählt. Paul zitiert gerne John Lennon: "Das Leben ist das, was passiert, während man beschäftigt ist, Pläne zu schmieden." Die Botschaft: Trotz aller Planung und Sorgen das Leben im Hier und Jetzt nicht zu vergessen.
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Chancen statt Verluste sehen
Eine zentrale Lektion aus Pauls Unternehmerlaufbahn betrifft die Perspektive auf Veränderungen: "Der Mensch ist ja ganz oft so gepolt. Er weiß nur, was er verliert, wenn er jetzt diesen und jenen Schritt geht. Aber was ich gewinne oder was ich dazu bekomme, das sieht man eben nicht."
Diese "Mangeldenke" zu überwinden, ist für Paul essentiell. Seine Überzeugung: "Eine Tür geht zu, die schließt sich vielleicht sogar selber absichtlich. Glaub mir, es gehen 2, 3, 4, 5 auf, wenn ich es erlaube. Wenn ich es mir selber erlaube."
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Lernen aus zwölf Jahren Selbstständigkeit
Auf die Frage, was er heute anders machen würde, antwortet Paul nachdenklich: "Noch mehr auf mein Bauchgefühl hören würde ich machen. Nicht so sehr auf das, was andere sagen oder andere erwarten."
Diese Erkenntnis ist besonders wertvoll für angehende Unternehmer. Die Balance zwischen Rücksichtnahme auf andere und der eigenen Vision treu zu bleiben, ist eine der schwierigsten Lektionen im Unternehmertum.
Der Rat an die nächste Generation
Jungen Musikern mit Gründerideen gibt Paul einen klaren Rat: "Wenn das deine Liebe ist, dann – also es gibt kein falsches Gefühl. Also es ist dein Gefühl und dann ja, mach das."
Gleichzeitig betont er die Wichtigkeit des Gebens: "Ich helfe gern. Und wenn es nur mein Rat ist oder was auch immer." Diese Mentalität des Unterstützens und Vernetzens ist charakteristisch für erfolgreiche Unternehmer und zeigt, dass Erfolg nicht im Alleingang, sondern in der Gemeinschaft entsteht.
Fazit: Mut zur authentischen Selbstverwirklichung
Paul Raufeisens Geschichte ist mehr als nur ein Beispiel erfolgreichen Unternehmertums. Sie zeigt, wie wichtig es ist, der eigenen Leidenschaft zu folgen, auch wenn der Weg unsicher erscheint. Seine Kombination aus unternehmerischem Pragmatismus und künstlerischer Leidenschaft, gepaart mit einer tiefen Wertschätzung für menschliche Beziehungen, macht ihn zu einem wahren "Eastside Hero".
Die Botschaft ist klar: Erfolg entsteht nicht trotz der eigenen Leidenschaft, sondern durch sie. Und manchmal ist der mutigste Schritt, das zu tun, was einen wirklich erfüllt – auch wenn es bedeutet, den sicheren Weg zu verlassen.