Von der Optima-Werft zum Alperstedter See: Wie Dirk Naumann aus der Not eine Tugend machte
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31 Jahre Wassersport-Unternehmertum mitten in Thüringen – die Geschichte eines Mannes, der sein Hobby zum Beruf machte und dabei zehntausende Menschen für das Segeln begeisterte
Es ist ein sonniger Abend am Alperstedter See, als ich Dirk Naumann zum ersten Interview seines Lebens treffen. 31 Jahre lang führt er hier seine Wassersportschule – still, beständig und erfolgreich. Keine Presseberichte, keine Selbstvermarktung, nur solide Arbeit. Heute erzählt der 55-Jährige seine Geschichte: Vom Werkzeugmacher bei der Optima zum mehrfachen Deutschen Meister im Segeln, vom arbeitslosen Wendeverlierer zum etablierten Unternehmer am größten Wassersportsee der Region.
Der unfreiwillige Sprung ins Unternehmertum
"Das war auf jeden Fall holprig", beschreibt Naumann seine Anfänge lakonisch. 1994, mit gerade mal 23 Jahren, verliert er seinen Job bei der Optima – wie 5.000 andere Mitarbeiter auch. "Zu dieser Zeit gab es nicht so viele Betriebe, die dann noch so viele Werkzeugmacher und Maschinenarbeiter gesucht haben." Die Wende hatte Ostdeutschlands Industrie erfasst, ganze Wirtschaftszweige verschwanden über Nacht.
Doch wo andere verzweifelten, sah Naumann eine Chance. Seine Leidenschaft galt schon seit Kindertagen dem Segeln – der Vater hatte in den 70er Jahren mit Freunden ein Boot gebaut, später war er der GST-Seesportorganisation beigetreten. "Da haben wir schon als Kinder die Segelausbildung übernommen", erinnert er sich. Der Gedanke lag nahe: "Ich muss irgendwie mein Hobby zum Beruf machen."
Pioniergeist am künstlichen See
Was heute selbstverständlich scheint, war 1994 ein mutiger Schritt ins Unbekannte. Der Alperstedter See – damals noch eine aufgegebene Kiesgrube – bot kaum Infrastruktur. "Das war grüne Wiese mit Wasser", beschreibt Naumann die Anfänge. "Die ganzen Wochenendhäuser gab es noch nicht, den Campingplatz gab es noch nicht. Hier gab es den Surfverein, hier gab es den Seesportverein und das war eigentlich alles."
Als erste Wassersportschule in Erfurt und Umgebung hatte er praktisch keine Konkurrenz – aber auch keine Kunden. "Wir haben mit den ersten fünf Leuten im Dezember begonnen, dann war erst mal bis März Ruhe." Ein halbes Jahr ohne Umsatz, der junge Unternehmer lebte zeitweise im Wohnwagen, um Kosten zu sparen.
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Von der lokalen Schule zum überregionalen Anbieter
Die Lösung kam durch die Erweiterung des Angebots. Schon 1996 organisierte Naumann die ersten Segeltörns auf Großseglern – von der Adria über Südfrankreich bis zur Ostsee. "So sind wir dann an das Küstensegeln intensiv herangekommen. Deswegen habe ich in dieser Zeit wahnsinnig viele Seemeilen gesammelt."
Heute sind es über 50.000 Seemeilen – eine Distanz, die mehr als zwei Erdumrundungen entspricht. Diese Erfahrung zahlt sich aus: Die Wassersportschule Nautic ist eine von nur 300 DSV-anerkannten Segelschulen in ganz Deutschland. "Es gibt erstmal Auflagen, dass man vernünftige Schulungsräume haben muss, Ausbildungsmaterial, die Art und Weise wie ausgebildet wird, dann die Lizenzen für die Segellehrer."
Mehr als nur ein Führerschein
Das Angebot reicht weit über den klassischen Sportbootführerschein hinaus. "Es gibt alleine in Deutschland fünf amtliche Bootsführerscheine bis hin zur Hochsee. Darüber hinaus gibt es noch die Sprechfunkzeugnisse für Binnen und Küste, Signalwaffen, Radarscheine und alles, was man da noch machen kann."
Das Einzugsgebiet erstreckt sich von Thüringen über Ostsachsen bis nach Osthessen – in den 90er Jahren kamen sogar Kunden aus Griechenland, die eine "relativ günstige" Ausbildung suchten. Heute konzentriert sich Naumann auf Qualität statt Quantität: individuelle Beratung, persönliche Betreuung und die Kombination aus Prüfungserfolg und echter Begeisterung für den Wassersport.
Sportliche Erfolge als Fundament
Naumanns Glaubwürdigkeit basiert nicht nur auf langjähriger Erfahrung, sondern auch auf sportlichen Erfolgen. Mit Stefan Höllriegel, heute Profisegler im Drachenbereich, holte er in den 90er und 2000er Jahren "fünf oder sechs Meistertitel" im Segel-Mehrkampf. "Das ist so ein Mehrkampf quasi wie ein Triathlon, nur eben für Segeln. Da kommen noch Seemannsknoten und Wurfleine dazu und eben die Segelläufe."
Diese Wettkampferfahrung fließt direkt in die Ausbildung ein – aber immer mit dem Bewusstsein für Grenzen und Gefahren. Bei einem Törn vor Kroatien geriet seine Gruppe in einen Orkan: "Wir hatten zehn Gäste an Bord, Windstärke elf bis zwölf. Das Schiff tauchte über den Bug bis zum Mast einmal durch eine Welle und hat drei Tonnen Wasser in den Maschinenraum gekriegt." Doch Panik kam nicht auf: "Das war keine Situation für uns, wo wir sagen, wir haben sie nicht im Griff."
Die Kunst der Krisennavigation
Krisen kennt Naumann nicht nur vom Wasser. Corona stellte auch sein Geschäftsmodell auf den Prüfstand. Während viele auf Online-Kurse setzten, blieb er bei Präsenzunterricht: "Als sehr, sehr viele Kunden die Webinare und Online-Kurse nicht besucht haben, sondern wirklich auf Präsenzunterricht gewartet haben, war für uns klar: Es gibt genug, die den Unterricht noch wollen, wo sie jemanden fragen können, dem man ins Gesicht schaut."
Diese Entscheidung erwies sich als richtig. Während größere Anbieter mit hohen Personalkosten kämpften, überstand die kleine Wassersportschule die Pandemie problemlos. "Wir brauchten uns nur um uns selbst zu kümmern. Das war immer so."
Teamgeist auf engstem Raum
Was macht Segeln zu einer so wertvollen Erfahrung für Unternehmer? "Es ist eigentlich das beste Teambuilding überhaupt", erklärt Naumann. "Was beim Segeln immer ganz wichtig ist, dass man die gesamte Mannschaft auf eine Stufe stellt. Es ist völlig egal, ob jemand Abteilungsleiter ist oder einen Papierkorb leert. Es muss Teamgeist da sein und ein Zahnrad ins andere laufen."
Besonders auf mehrtägigen Törns zeigt sich der Charakter: "Wenn man das Ganze auf eine Woche zieht und man ist auf engstem Raum Tag und Nacht zusammen und kann nicht weg, dann muss man die Macken ertragen eines anderen und man muss sich unterordnen können."
Die Ruhe vor dem Sturm
Kollegen beschreiben Naumann als "Ruhepol, den irgendwie nichts erschüttern kann". Eine Eigenschaft, die er dem Segeln zuschreibt: "Wenn man erst mal diese fünf Meter Wellen hat, wo der Motor ausfällt und man trotzdem einen kühlen Kopf bewahren muss, dann kann einen eigentlich so viel nicht erschrecken." Panik sei der größte Feind: "Das größte Problem, weil gerade Panik verursacht Handlungsfehler."
Lebenswerk ohne Nachfolger
Nach 31 Jahren erfolgreicher Geschäftstätigkeit steht Naumann vor einer ungewöhnlichen Herausforderung: der Nachfolge. Seine beiden Töchter sind "in anderen Richtungen unterwegs", qualifizierte Segellehrer schwer zu finden. "In so kleinen Unternehmen können wir jemand, der angestellt ist, nicht fünf Tage die Woche acht Stunden auslasten."
Doch noch denkt er nicht ans Aufhören. Neben der Wassersportschule führt er seit 2024 ein zweites Unternehmen, die "Montage Service Dirk Naumann". Die Diversifikation als Überlebensstrategie ostdeutscher Unternehmer – ein Thema, das viele seiner Generation kennen.
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Mehr als nur ein Führerschein
"Wassersport ist eine der schönsten Sportrichtungen, die es überhaupt gibt", fasst Naumann seine Leidenschaft zusammen. "Vielleicht nicht für jedermann, aber für die meisten. Und es macht mehr Spaß, wenn man es kann."
Seine Botschaft an potenzielle Segler: "Dass man sich nicht auf Anfänger-YouTube-Filme verlassen soll, woran am Ende nichts rauskommt." Stattdessen setzt er auf persönliche Erfahrung, professionelle Ausbildung und die Erkenntnis, dass Wassersport "beruhigend" ist: "Man setzt die Segel und lässt sich vom Wind tragen. Es ist eine Ruhe. Man muss sich aber auch mit den Naturgewalten auskennen und damit abfinden."
Ein ostdeutsches Erfolgsmodell
Dirk Naumanns Geschichte steht exemplarisch für viele ostdeutsche Unternehmer: den Mut zur Selbstständigkeit aus der Not heraus, die Fähigkeit zur Anpassung, die regionale Verwurzelung und die stille Beständigkeit abseits großer Medienaufmerksamkeit. 31 Jahre nach der Gründung hat er aus einer "grünen Wiese mit Wasser" einen lebendigen Wirtschaftsstandort mitgestaltet und dabei zehntausende Menschen für den Wassersport begeistert.
Am Alperstedter See, wo heute Campingplätze, Restaurants und Freizeitanbieter ein funktionierendes Ökosystem bilden, beweist seine Wassersportschule Nautic: Manchmal entstehen die besten Geschichten dort, wo niemand sie erwartet – mitten in Thüringen, auf einem künstlichen See, mit der Leidenschaft eines Mannes, der sein Hobby zum Beruf machte.
Die Wassersportschule Nautic am Alperstedter See bietet das komplette Spektrum der Wassersportausbildung – von Sportbootführerscheinen bis zu internationalen Segeltörns. Mehr Informationen unter wassersportschulenautic.de