Theresa Wisgalla: Warum echte Veränderung beginnt, wenn wir unsere größten Ängste überwinden
© Theresa Wisgalla
„Ich war eigentlich immer so ein kleiner Schissi und habe gesagt, Selbständigkeit? Nee, auf gar keinen Fall!", erzählte mir Theresa Wisgalla in ihrem Leipziger Atelier. Heute, keine zwei Jahre später, führt sie ihr eigenes Modelabel W/SGALLA und hat eine klare Vision: Sie will zur größten Arbeitgeberin der Modebranche in Sachsen werden. Ihre Geschichte zeigt eindrucksvoll, wie aus Zweifeln Stärke erwächst und wie wichtig es ist, auf die innere Stimme zu hören – auch wenn sie manchmal von einem Grundschüler kommt.
Wenn Kindermund die Wahrheit ausspricht
Der Wendepunkt in Theresas Leben kam völlig unerwartet. Nach jahrelangen Stationen in der Modebranche, vom Praktikum bei Hugo Boss über das Design bei Tom Tailor bis hin zur Textilforschung, landete sie als Seiteneinsteigerin an einer Grundschule. „Ich wollte das Lehren trainieren für meine spätere Professur", erklärt Theresa rückblickend. Doch dann passierte etwas, was ihr Leben komplett veränderte.
„Ein kleiner Junge kam zu mir und meinte: ‘Frau Wisgalla, warum sind Sie eigentlich nicht Designerin geworden? Sie können das doch total gut’", erzählt sie. „Und das tat richtig weh. Da musste ich richtig schlucken."
Diese simple Frage eines Kindes wurde zum Katalysator für eine Entscheidung, die Theresa jahrelang vor sich hergeschoben hatte. Manchmal braucht es eben den unschuldigen Blick von außen, um zu erkennen, was wir selbst längst wissen, aber verdrängen.
Der Mut, gegen die eigene Angst anzugehen
Theresas Transformation von der selbsternannten „Schissi" zur mutigen Unternehmerin war kein Schalter, den sie einfach umlegte. „Gefühlt habe ich die Angst, seitdem ich gegründet habe, nebenbei so ein bisschen mit abgeschüttelt", beschreibt sie den Prozess. Das ist ein wichtiger Punkt: Mut bedeutet nicht die Abwesenheit von Angst, sondern das Handeln trotz der Angst.
Ihre Entscheidung, W/SGALLA zu gründen, war alles andere als ein Sprung ins kalte Wasser ohne Vorbereitung. Jahre der Erfahrung bei großen Modehäusern, ein abgeschlossenes Studium, Forschungsarbeit im Textilbereich – all das floss in ihre Entscheidung ein. „Jetzt habe ich so viel Erfahrung gesammelt und schief gehen kann es immer. Also springe ich jetzt mal rein ins kalte Wasser", fasst sie ihre damalige Denkweise zusammen.
Mode mit Haltung: Authentizität als Geschäftsmodell
Was Theresa von vielen anderen Designern unterscheidet, ist ihr kompromissloser Fokus auf Werte. „Das allergrößte USP würde ich sagen, ist, dass ich Mode mit Haltung mache", erklärt sie. Diese Haltung zeigt sich in jedem Aspekt ihres Geschäfts: von der Verwendung von Deadstock-Stoffen über die lokale Produktion in Sachsen bis hin zu geschlechtsneutralen Designs.
Besonders bemerkenswert ist ihre Einstellung zu Details, die andere für unwichtig halten könnten. „Knöpfe finde ich selber total doof, mag ich gar nicht", sagt sie unverblümt. Statt sich damit abzufinden, suchte sie nach Alternativen und entdeckte magnetische FIDLOCK-Verschlüsse. Diese funktionieren nicht nur besser, sondern machen ihre Kleidung auch für Menschen mit motorischen Einschränkungen zugänglicher.
Was wir lernen können: Authentizität im Business bedeutet, auch bei scheinbar kleinen Details konsequent zu seinen Werten zu stehen. Wenn uns etwas stört, sollten wir nach besseren Lösungen suchen, statt den Status quo zu akzeptieren.
Dahin gehen, wo man nicht erwartet wird
Theresas Marketingstrategie ist ein Lehrstück in strategischem Denken. „Ich will dahin gehen, wo man mich nicht erwartet", erklärt sie ihre Herangehensweise. Während andere Designer sich auf der Berliner Fashion Week drängen, präsentiert sie ihre Kollektionen auf Technologie-Konferenzen in Dresden.
„Auf der Fashion Week springen alle rum. Da erwartet man mich nicht und dort kann man natürlich dann auch immer so ein bisschen strahlen und auffallen", führt sie aus. Diese Anti-Strategie zeigt, wie wichtig es ist, sich von der Konkurrenz zu differenzieren – nicht nur durch das Produkt, sondern auch durch die Art, wie man es präsentiert.
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Scheitern als Lernprozess verstehen
Theresas Weg war alles andere als geradlinig. Nach dem Studium in Schneeberg ging sie nach Hamburg zu Tom Tailor, kehrte wegen Heimweh nach Leipzig zurück, arbeitete als Visual Merchandiserin und landete schließlich als Grundschullehrerin. Jede Station brachte wertvolle Erkenntnisse.
Bei Hugo Boss erlebte sie die „Parallelwelt" der Luxusmode, vermisste aber das Funktionale. Bei Tom Tailor lernte sie den Preisdruck und die Geschwindigkeit der Massenproduktion kennen – und merkte, dass das nicht ihr Weg war. „Ich lasse mir auch nicht gerne sagen, was ich tun soll", reflektiert sie heute. „Das war ein Riesenproblem."
Vision und regionale Verantwortung
Theresas Ziel, zur größten Arbeitgeberin der Modebranche in Sachsen zu werden, ist mehr als persönlicher Ehrgeiz. „Dem kreativen Nachwuchs hier eine Perspektive zu bieten, die ich hier selber nicht gefunden habe", erklärt sie ihre Motivation. Sie sieht an den Hochschulen, wie talentierte Absolventen keine beruflichen Perspektiven in der Region finden.
„Wenn ich die frage: ‘Was macht ihr denn, wenn ihr hier fertig seid?’, antworten sie: ‘Naja, weiß ich nicht, wahrscheinlich irgendwo an der Kasse.’", beschreibt sie die Situation. Ihre Vision geht damit weit über den eigenen Erfolg hinaus – sie will ein ganzes Ökosystem für kreative Berufe in Sachsen schaffen.
Perfektionismus als Fluch und Segen
Ein interessanter Aspekt in Theresas Persönlichkeit ist ihr Perfektionismus, besonders im Umgang mit Social Media. „Ich bin auch blöderweise sehr perfektionistisch und ich stecke dann auch in meinen Content irgendwie sehr sehr viel Zeit", erzählt sie. Gleichzeitig frustriert sie die kurze Aufmerksamkeitsspanne: „Lohnt sich das jetzt wirklich da einen halben Tag Arbeit reinzustecken für was zu produzieren, wenn die Aufmerksamkeitsspanne eigentlich nicht länger als drei Sekunden ist?"
Der Rat einer Pionierin
Am Ende unseres Gesprächs gab Theresa einen simplen, aber kraftvollen Rat: „Seid mutig. Mutig sein lohnt sich, glaube ich, immer und gründet alle. Das ist eine total aufregende Zeit."
Sie ist ehrlich über die Herausforderungen: „Es ist auch nicht alles immer nur schön und glitzern, sondern da gibt es mindestens genauso viele Momente, wo man denkt, warum habe ich das eigentlich alles gemacht?" Aber genau diese Ehrlichkeit macht ihren Rat so wertvoll.
Theresas Geschichte zeigt uns, dass der Weg zum Erfolg selten gerade verläuft. Manchmal braucht es einen Umweg über die Grundschule, um zu erkennen, wo wir hingehören. Manchmal braucht es die Worte eines Kindes, um uns wachzurütteln. Und manchmal braucht es den Mut, gegen unsere eigenen Ängste anzugehen.
Das Wichtigste aber ist: Es ist nie zu spät, den Sprung zu wagen. Theresa war über 30, als sie sich selbstständig machte. Sie hatte Zweifel, Ängste und kein perfektes Konzept. Aber sie hatte Erfahrung, Werte und den Mut, ihren eigenen Weg zu gehen. Und das kann jeder von uns lernen.