Digital, vernetzt, erfolgreich: Milen Starkes Rezept für Tech-Innovation aus Thüringen
In einer Zeit, in der alle von Digitalisierung reden, gibt es Menschen, die einfach machen. Milen Starke ist eine von ihnen. Mit nur 28 Jahren übernahm sie 2018 die Geschäftsführung der Q-SOFT GmbH in Erfurt – ein Sprung ins kalte Wasser, der zum Sprungbrett für eine beeindruckende Transformation wurde. Im Eastside Heroes Podcast teilt sie ihre Geschichte, die zeigt: Mit Mut zur Veränderung, einer klaren Vision und der richtigen Vernetzung kannst Du auch aus der Mitte Thüringens heraus digitale Zukunft gestalten.
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Erbe annehmen, aber anders machen
"Wir waren recht klassisch geführt, top down. Entscheidungen wurden von oben zentralisiert nach unten gegeben. Das war nicht mein Führungsstil", erinnert sich Milen an ihre Anfangszeit bei Q-SOFT. Als sie nach dem gesundheitsbedingten Rückzug ihres Vaters ins Unternehmen einstieg, erbte sie nicht nur ein etabliertes IT-Unternehmen mit 35-jähriger Geschichte, sondern auch eingefahrene Strukturen.
Doch statt einfach weiterzumachen wie bisher, initiierte sie eine grundlegende Transformation: "Es war eine Transformation, die ging nicht von heute auf morgen. Es ist vor allen Dingen auch eine organisatorische Transformation im ersten Schritt gewesen."
Was Milen anders machte? Sie setzte auf Partizipation statt Kontrolle. Gemeinsam mit einem externen Coach arbeitete sie daran, ein Mittelmanagement aufzubauen und Entscheidungskompetenzen zu verteilen. Das Besondere: Sie gab nicht vor, wie die neue Struktur aussehen sollte, sondern ließ ihre Führungskräfte selbst entscheiden, wie sie künftig arbeiten wollten.
Dieses Vorgehen zeigt, was viele Unternehmen in der Nachfolge-Situation lernen können: Respekt vor dem Bestehenden bedeutet nicht, alles beim Alten zu lassen. Manchmal ist ein Bruch mit der Vergangenheit nötig, um zukunftsfähig zu bleiben.
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Innere Freiräume schaffen
Eine der spannendsten Entscheidungen in Milens Führungszeit war die Einrichtung eines separaten Forschungs- und Entwicklungsteams im Jahr 2021. Während das Kernteam die bestehende Software weiterpflegte, bekam das neue Team einen radikalen Neustart: "Wir haben die Walt Disney Methode eingeführt. Einfach mal wirklich auf einer grünen Wiese, auf einem leeren Blatt Papier anfangen zu sagen, wie wollen wir uns denn strukturieren?"
Anstatt die bewährte Technologie schrittweise zu modernisieren, entschied sich Milen für einen mutigen Parallelansatz: Das neue Team durfte mit völlig anderen Technologien arbeiten – "wirklich Parallelwelten so ein bisschen", wie sie es beschreibt.
Was auf den ersten Blick nach Ressourcenverschwendung klingen könnte, erweist sich als strategischer Geniestreich: Das bestehende Produkt bleibt stabil, während gleichzeitig die Zukunft gestaltet wird – ohne die Belastung durch Altlasten und tägliche Support-Aufgaben.
"Innovation entsteht nicht nebenbei", könnte man als Lehre daraus ziehen. Du brauchst geschützte Räume und den Mut, parallel zu denken und zu arbeiten, wenn Du wirklich Neues schaffen willst.
Nach draußen schauen
Milen ist Erfurterin mit Weltblick. Während ihres Studiums arbeitete sie bei einer Marketingberatung in Düsseldorf, bei Procter & Gamble, verbrachte Zeit in Amerika, China und Indien. Diese internationale Erfahrung prägt ihre Sicht auf das eigene Unternehmen: "Wenn du eine gewisse Zeit in bestimmten Strukturen gearbeitet hast, kriegst du Scheuklappen und dann siehst du auch nicht mehr viel."
Diese Erkenntnis lebt sie aktiv: Q-SOFT schickt Entwickler auf Konferenzen, nutzt Online-Formate zur Weiterbildung und holt für spezielle Themen externe Experten ins Haus. Diese Offenheit für fremde Perspektiven ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke und Selbstbewusstsein.
Milen selbst ist in zahlreichen Netzwerken aktiv – vom Verband der Unternehmerinnen über die IHK bis zum Digitalbeirat des Landes Thüringen. Diese Vernetzung ist für sie kein Selbstzweck: "Jedes Netzwerk hat seine Berechtigung, wenn Leute zu etwas kommen und sich neue Connections bilden." Es geht um den Austausch von Ideen, neue Perspektiven und gemeinsames Wachstum.
Pragmatisch statt dogmatisch
Wenn es um Methoden geht, bleibt Milen erfrischend unideologisch: "Es gibt für mich jetzt nicht das Nonplusultra, sondern das kommt für mich auch immer auf das Thema an, was gerade behandelt wird."
Q-SOFT nutzt Elemente aus Scrum, Kanban und Design Thinking – aber nie dogmatisch. Statt blind einer Methode zu folgen, wählt das Unternehmen je nach Situation den passenden Ansatz. "Entscheidend ist, dass man offen ist und sich von anderen Dingen auch inspirieren lässt", fasst Milen zusammen.
Dieser pragmatische Ansatz könnte ein entscheidender Vorteil für mittelständische Unternehmen sein. Während Konzerne oft in starren Prozessen gefangen sind, können kleinere Unternehmen agiler reagieren und methodische Ansätze an ihre spezifischen Bedürfnisse anpassen.
Von der Theorie zur Praxis
Bei Q-SOFT wird Innovation konkret. Das Unternehmen entwickelt mit seinen 50 Mitarbeitenden hochspezialisierte Softwarelösungen für die Abfallwirtschaft – ein Bereich, den man nicht sofort mit Digitalisierung verbindet.
Hier zeigt sich, was möglich ist: Füllstandssensoren an Mülltonnen, die melden, wann sie voll sind; KI-gestützte Systeme zur Erkennung von Verunreinigungen im Biomüll; digitale Bürgerportale, die den Papierkrieg bei Anträgen reduzieren. Die technologischen Möglichkeiten sind beeindruckend.
Doch zwischen Vision und Wirklichkeit klaffen oft Lücken. Milen berichtet anschaulich von Kommunen, in denen Daten noch ausgedruckt, in eine andere Abteilung getragen und dort neu eingegeben werden. Diese Diskrepanz zeigt die Herausforderungen der digitalen Transformation: Technologisch ist vieles möglich – doch der Wandel scheitert oft an Strukturen, Entscheidungswegen und fehlendem Mut zur Veränderung.
Es braucht Entscheider, die vorangehen. Milen nennt das Beispiel Hamburg, wo eine engagierte Betriebsleiterin den Wandel vorantrieb: "Die hat einfach Vorgaben gemacht. Die hat einfach gesagt, so Leute, wir machen das jetzt." Dieser klare Wille zur Entscheidung fehlt in vielen Organisationen – besonders im öffentlichen Sektor.
Die ostdeutsche Chance
Besonders interessant: Milen bleibt trotz aller Herausforderungen optimistisch für ihre Heimatregion. "Wir haben ein unglaublich großes Potenzial und die Chancen sind da. Es ist aber entscheidend, dass wir aufhören, darüber zu reden, sondern wirklich mal ins Machen kommen."
Thüringen liegt im Digitalisierungsindex derzeit auf dem letzten Platz aller Bundesländer – doch das muss nicht so bleiben. Die Region verfügt über hervorragende digitale Infrastruktur und zahlreiche innovative Unternehmen. "Wir haben in Thüringen eine unglaublich krasse Hidden Champion-Anzahl. [...] Wir haben die meisten sozusagen im Deutschlandvergleich [...] in Thüringen. Man kennt sie aber nicht. Wir reden halt zu wenig darüber."
Diese Zurückhaltung mag kulturelle Wurzeln haben, ist aber in der digitalen Wirtschaft hinderlich. Wer seine Erfolge nicht kommuniziert, wird nicht wahrgenommen – weder von potenziellen Kunden noch von politischen Entscheidungsträgern.
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Der Weg nach vorn
Was braucht es für eine erfolgreiche digitale Transformation in Thüringen und darüber hinaus? Milen sieht drei zentrale Faktoren:
Bildung: "Das geht für mich vor allen Dingen durch das Thema Bildung. Wir müssen Medienkompetenz fördern, sowohl im frühkindlichen Alter als auch in der Breitengesellschaft, als auch in den älteren Semestern."
Vernetzung zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik: Die drei Bereiche müssen zusammenarbeiten, statt nebeneinander her zu existieren.
Den Mut zum Handeln: "Es ist entscheidend, dass wir aufhören, darüber zu reden, sondern wirklich mal ins Machen kommen."
"Lasst uns Thüringen nach vorne bringen!", fordert Milen zum Abschluss unseres Gesprächs - und da können wir uns als EASTSIDE HEROES nur anschließen!