Von der Kirche zum Ring: Wie Jazzy Gabert aus Rückschlägen ein Wrestling-Imperium erschafft

Wenn das Leben dich zu Boden wirft, lernst du aufzustehen – und dann anderen beizubringen, wie es geht

Stell dir vor, du wirst als Baby vor einer Kirche abgelegt. Du wächst im Kinderheim in Ostdeutschland auf. Mit 16 wirft dich deine Pflegefamilie raus. Du lebst auf der Straße. Du hast buchstäblich nichts – außer einem zerknitterten Wrestling-Magazin, das du bei einem Umzug gefunden hast.

Was machst du?

Marie Kristin Gabert – besser bekannt als Jazzy Gabert oder "Alpha Female" – hat eine Antwort gefunden, die ihresgleichen sucht: Sie wurde 14-fache Wrestling-Weltmeisterin, kämpfte sich bis zur WWE durch und baut heute in Thüringen ihr eigenes Wrestling-Entertainment-Imperium auf.

Ihre Geschichte ist nicht nur die einer Sportlerin. Sie ist die Blaupause dafür, wie man aus absoluter Perspektivlosigkeit systematisch eine internationale Karriere und ein Unternehmen aufbaut – mit nichts als Willen, Disziplin und der Weigerung, jemals aufzugeben.

Der Anfang: Wenn Wrestling zum Überlebensmechanismus wird

"Wrestling hat mein Leben gerettet", sagt Jazzy heute ohne Umschweife. "Es ist kein Sport, wir sind aber Sportler. Ohne diese wunderschöne Sportart wäre mein ganzes Leben irgendwie anders verlaufen."

Das ist keine Übertreibung. Als sie mit ihrer Pflegefamilie von Ost-Berlin nach Bayern zog, war sie der "doofe Ossi” – die Ostdeutsche, die niemand haben wollte. "Ich wurde übertrieben gemobbt. Ich war sogar die Außenseiter der Außenseiter. Da gab es schon Außenseiter und nicht mal die wollten mich haben."

In dieser absoluten Isolation wurde Wrestling ihr Safe Space. Sie schaute DSF um 23 Uhr, blieb bis 3 Uhr morgens wach, nahm die Matches auf Kassette auf. Ihre Lehrer bemängelten, dass sie in der Schule schlief. Aber in ihrer Welt gab es nur Wrestling. "Hulk Hogan hat immer gesagt, ess deine Vitamine und do your prayers und der war halt mein Vorbild", erinnert sie sich. "Und ich wusste, ich darf keine Straftaten machen oder irgendwie böse sein oder so, weil sonst kann ich nicht nach Amerika gehen."

Dieses einfache Wertesystem eines Wrestling-Stars rettete sie davor, den Weg vieler anderer aus ihrer Familie zu gehen. Sie hatte ein Ziel. Und wenn man nichts hat, kann ein Ziel alles sein.

Die strategische Skalierung: Von Berlin über Japan zur WWE

Mit 18 fand Jazzy in Berlin eine kleine Wrestling-Schule. 2001 hatte sie ihr Debüt. Aber schnell wurde klar: In Deutschland konnte man vom Wrestling nicht leben. Also ging sie nach England, wo jedes Wochenende Shows stattfanden.

Dann kam der strategisch brillante Schritt: Japan.

2012 wurde sie nach Japan geholt – und dort passierte etwas Entscheidendes. Sie gewann nicht einfach nur Titel. Sie wurde die erste Deutsche und erste Europäerin, die die World of Stardom Championship gewann. Sie dominierte eine der technisch anspruchsvollsten Wrestling-Ligen der Welt – in einem Land, wo Wrestling kein Entertainment, sondern purer Sport ist. "In Japan gibt es keine Show, totaler Sport, die schlagen so hart rein und es ist einfach nur brutal."

Diese japanische Validierung war Gold wert. Als 2017 die WWE ihr erstes Mae Young Classic Turnier ausrichtete, durfte Jazzy Deutschland vertreten. Obwohl sie in der ersten Runde ausschied, war der Eindruck so stark, dass Triple H und Shawn Michaels ihr Standing Ovations gaben. Die Fans chanteten "Please sign Jazzy". Der Vertrag kam per Post.

Der Traum war zum Greifen nah.

Der härteste Kampf: Wenn dein Körper Nein sagt

Aber dann kam der medizinische Check. MRT. Drei Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule. Die Knochen waren "all over the place". Der WWE-Arzt war eindeutig: "We're really sorry Jazz, but we cannot give you our clearance." Der Vertrag wurde im Dezember 2017 zurückgezogen.

Das Bittere: Jazzy hatte das Mae Young Classic verletzt gekämpft. "Ich hatte ein Match gegen Abbey Laith und ich catch sie und ich denke mir, 'Wow, ich bin badass, ich habe das Move mit dieser Verletzung gemacht?'" Im Podcast mit Sam Roberts sagte sie später: "Ich bin ein tough girl, aber ich habe nachts geweint."

Operation. Sechs Monate Pause. Dann das Comeback: 2019 unterschrieb sie doch noch bei WWE – für NXT UK, den britischen Ableger.

Und hier begann der Albtraum.

NXT UK: Die Lektion über toxische Systeme

"Es war eine terrible experience", fasst Jazzy ihre Zeit bei NXT UK zusammen. Sie spricht offen über Rassismus, Sexismus und Mobbing. "Von Kolleginnen, die sich weigerten, mit mir zu sprechen und versucht haben, mich absichtlich beim Training zu verletzen." Ihre Zusammenfassung ist vernichtend: "Meine Gesundheit für so wenig Geld aufs Spiel zu setzen, das war es mir einfach nicht wert."

In Interviews wird sie noch deutlicher: "I should have never re-signed with WWE and I should have never agreed to go to NXT UK. It just pains me to think about the time, the wasted opportunities and the behavior of some people there."

2020 wurde sie entlassen. Mitten in der Corona-Pandemie.

Sie arbeitete als Sicherheitskraft in Impfzentren. Als Kinder-Boxtrainerin. Sie erinnert sich an einen jungen Mann im Flüchtlingsheim, der zu ihr sagte: "Es ist doch richtig peinlich, dass du hier arbeitest. Du bist so ein Superstar, hast Weltmeistertitel errungen und jetzt sitzt du hier mit mir."

Ihre Antwort zeigt ihre Mentalität: "Ja, was soll ich sonst machen? Besser als Arbeitslosengeld. Wenn ich doch zwei gesunde Füße und Hände habe, dann kann ich auch arbeiten gehen. Egal was. Und ich finde, keine Arbeit ist zu nieder."

Sirius Sports Entertainment: Der Traum wird Geschäftsmodell

Aus der WWE-Enttäuschung entstand eine Vision. Jazzy hatte auf der Tour mit Udo Lindenberg gesehen, wie große Entertainment-Produktion funktioniert. "Da habe ich gesehen, wie cool diese ganze Showwelt ist. Der hat so Showtänzerinnen gehabt und generell so bunte Farben, fettes Licht, fetter Sound und ich habe gesagt, ich will das auch."

2020 gründete sie Sirius Sports Entertainment. Das Konzept: Wrestling nicht als isolierter Sport, sondern als Gesamtkunstwerk. Themen-Shows – Gladiator, Rockabilly, Starlight. Live-Musik zwischen den Kämpfen. Tänzerinnen. Die Zuschauer in Kostümen. Ein römisches Amphitheater-Setup mit dem Ring auf der Bühne.

"Ich glaube, nur Wrestling reicht mittlerweile nicht und auch nur Musik reicht mittlerweile nicht. Du musst es kombinieren, weil die Leute haben doch heutzutage schon alles gesehen."

Die erste Show war für April 2020 geplant. Genau am Tag, als die Pandemie Deutschland stilllegte. "Ich habe noch gesagt, bitte, bitte, lasst mich diese eine Show machen, wir können doch am nächsten Tag die ganzen Shutdowns machen."

Es half nichts. Wirtschaftlich eine Katastrophe – die Flüge waren gebucht, die Halle bezahlt, amerikanische Wrestler organisiert.

Aber Jazzy machte weiter.

Die härteste Lektion: Wenn 2000 Zuschauer zu 100 werden

Februar 2022, Stadthalle Balingen. Die erste Sirius-Show endlich. 550 Zuschauer kamen. Standing Ovations. Begeisterung.

Sechs Monate später plante Jazzy die nächste Show. Ihre Kalkulation: "550 waren da, die fanden das alle klasse, die werden alle jemanden mitbringen und dann ist ja keine Pandemie mehr. Also da kommen bestimmt 2000 Zuschauer."

Sie buchte eine riesige Halle. Investierte in Technik, Feuerwerk, eine TV-Produktion. Flog den amerikanischen Superstar Tatanka ein. Verteilte 5000 Flyer persönlich. Hängte 1000 Poster auf. War im Radio, in der Zeitung.

Es kamen 100 Zuschauer.

"Ich weiß noch, wie ich backstage stand. Ich habe dann durch diesen Vorhang geguckt und ich habe gesehen, alles leer. Es war so professionell aufgebaut. Die Stühle, das Licht, das war wirklich... Es war alles vorbereitet. Catering hinten. Oh mein Gott."

Ihre größte Niederlage. Eine Frau packte sie, sagte: "Atme durch, es ist nur Geld."

Heute blickt Jazzy zurück: "Also es hat echt wehgetan, das muss man sagen."

Das Sirius Universum: Vision trifft Realität

2024 wagte Jazzy den nächsten großen Schritt. Sie eröffnete in Schwallungen, Thüringen, das "Sirius Universum" – ein ehemaliger Gasthof mit Wrestling-Akademie, Restaurant, Bed & Breakfast, einem Jazzy-Gabert-Mini-Museum. Das Konzept: Das Restaurant finanziert die Akademie. Die Gäste können dem Training zuschauen. Wrestling wird greifbar, entmystifiziert.

"Das Allerschönste fand ich, wenn dann unten die Leute gegessen haben und viele haben ja auch Vorurteile gegenüber Wrestling und ich denen dann sagen konnte, ja kommen sie selber mal nach oben, gucken sie sich das an."

Aber nach neun Monaten kam der Genickbruch: Der Brandschutz stellte fest, dass der historische Bau möglicherweise nicht für den 1000 kg schweren Ring ausgelegt war. Die Auflagen wären zu teuer gewesen. "Es hat sich auch ein bisschen nach Schikane angefühlt, um ehrlich zu sein. Irgendjemand wollte uns in diesem Dorf nicht haben."

Heute steht die Akademie in Immelborn in einer ehemaligen Schlecker-Filiale. Kein Restaurant mehr. Kein Hotel. Zurück zum Kern: Wrestling-Training und Shows.

"Ich konzentriere mich wieder auf das, was ich ja schon immer machen wollte, diese Shows. Also diese Wrestling-Shows sind einfach mein Herz und meine Seele."

Die Learnings eines Eastside Hero

Was können Unternehmer aus Jazzys Weg lernen?

1. Resilienz ist nicht optional – sie ist das Geschäftsmodell

Jazzy hatte buchstäblich jeden Grund aufzugeben. Mehrfach. Stattdessen hat sie aus jedem Rückschlag eine neue Strategie entwickelt. "Jazzy gibt nicht auf, hat weitergekämpft, hat sich durchgebissen."

2. Wenn du nichts zu verlieren hast, hast du alles zu gewinnen

"Ich kannte das nie, ein gutes Gefühl", sagt Jazzy über ihre Kindheit. "Also kann ich mich nicht erinnern, dass es mal Safe Space war. Und dann war ja nicht die Möglichkeit, mache ich das oder das. Es war nur: ich muss nach Japan gehen, weil ich habe ja nichts anderes."

Diese Klarheit ist ein strategischer Vorteil.

3. Diversifiziere deine Einkommensquellen – aber fokussiere dein Herz

Jazzy macht alles: Miss Germany, Take me out, Netflix-Auftritte, Speaker-Tätigkeiten. "Ich habe viele verschiedene Einkommensquellen." Aber das Ziel ist klar: "Ich habe kein großes Auto, will ich auch niemals haben, ich will einfach alles ins Wrestling reinstecken."

4. Lerne aus Fehlern, aber wiederhole sie nicht

Die 2000-Zuschauer-Katastrophe hat Jazzy gelehrt: "Ich habe jetzt kleine Shows. Natürlich sind sie überhaupt nicht zu meiner Zufriedenheit. Ich habe keine Tänzerinnen, ich habe keine Live-Musik auf meinen Shows jetzt, aber ich weiß, dass ich da wieder hinkommen werde."

Erst die 500er-Grenze knacken. Dann die 1000er. Dann weiter skalieren.

5. Mut ist wichtiger als Qualifikation

"Ich bin auch nicht die beste und krasseste Sportlerin, aber ich habe Mut gehabt und ich glaube, das ist wichtig."

Die Vision: 15.000 Zuschauer und ein neues deutsches Wrestling

Jazzys ultimatives Ziel: Eine Wrestling-Show mit 15.000 Zuschauern. "Ich weiß nicht, wann ich es erreichen werde. Vielleicht erst in fünf, sechs Jahren, aber da will ich auf jeden Fall hinkommen."

Sie ist aktuell unter den Top 18 bei Miss Germany in der Kategorie "Mover" – Menschen, die bewegen. Ihre nächste Show kommt im Dezember.

Und vielleicht – nur vielleicht – ist ihre größte Leistung nicht die Wrestling-Karriere. Sondern dass sie heute 12-jährigen Kindern, die gemobbt werden, einen Safe Space bietet. "Im Ring zählt nur deine Leistung und ob du die Zuschauer entertainen kannst. Und das ist ja das Schöne an meinem Sport."

Was Ostdeutschland damit zu tun hat

Jazzy wurde in Ost-Berlin geboren. Sie kennt das Gefühl, die "doofe Ostdeutsche" zu sein. Sie weiß, was es heißt, als Außenseiterin zu starten.

Und heute baut sie ihr Unternehmen bewusst in Thüringen auf. "Im Herzen von Deutschland", sagt sie. Zentral. Erreichbar. Nicht Berlin. Nicht München. Sondern Immelborn.

Das ist kein Zufall. Das ist Statement.

Sie beweist: Du brauchst keine Metropole, um Großes aufzubauen. Du brauchst Vision, Disziplin und die Weigerung, dir von irgendjemandem sagen zu lassen, was möglich ist.

Ihre Botschaft an dich

"Sei einfach mutig. Geh raus, mach, setz dein Herz ins Projekt. Weil wir haben nur dieses eine Leben. Es kann morgen auch schon vorbei sein. Und du willst ja nicht dann sagen, ach, hätte ich mal. Sondern mach's einfach."

Jazzy Gabert ist der lebende Beweis, dass der Weg von ganz unten nach ganz oben möglich ist. Nicht weil es einfach wäre. Sondern weil sie niemals aufgehört hat, aufzustehen.

Im Wrestling nennt man das einen "Comeback". Im Leben nennt man es Resilienz.

Und in Ostdeutschland? Nennen wir es einen Eastside Hero.

Sebastian Meier

Als Brückenbauer zwischen Innovation und Tradition prägt Sebastian Meier die Zukunft des ostdeutschen Unternehmertums. Seine außergewöhnliche Expertise wurzelt in zwei Welten: Als ehemaliger Leiter des Thüringer Zentrums für Existenzgründungen erkannte er die Bedeutung starker Netzwerke und brachte erstmals die relevanten Akteure der Gründungsszene an einen Tisch. Diese neugeschaffenen Synergien zwischen Wirtschaft, Forschung und Förderung wirken bis heute nach. Als Gründer führte er selbst die myGermany GmbH von der Startup-Vision zum erfolgreichen internationalen Bestandsunternehmen.

Diese einzigartige Kombination aus Startup-DNA und Institutionserfahrung macht ihn zum gefragten Sparringspartner für Unternehmer und Innovatoren. Mit EASTSIDE HEROES verfolgt er heute eine klare Mission: Die Transformation Ostdeutschlands zum dynamischen Wirtschaftsstandort der Zukunft. Sein 15 Jahre aufgebautes Netzwerk aus über 500 aktiven Unternehmenskontakten nutzt er, um etablierte Player mit innovativen Scale-ups zu verbinden und echte Wertschöpfung zu generieren.

Als Nerd für Künstliche Intelligenz und Automatisierung berät Sebastian regelmäßig Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation.

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