SPACEOPTIX: Vom Osten in den Orbit - mutig und weltraumtauglich
Während die Start-up-Welt von München träumt und Millionen-Runden feiert, baut ein Thüringer Unternehmen die Zukunft der europäischen Raumfahrt auf – mit eigenem Kapital, 30 Mitarbeitern und einer klaren Vision: Hier bleiben. In dieser Sonderfolge trifft SPACE FOR auf die EASTSIDE HEREOES. Gemeinsam sprechen wir über Unternehmertum im Osten, den Mut, Neues zu wagen, und die Bedeutung von Hightech aus Thüringen für die Raumfahrt. Ein Gespräch über Haltung, Herkunft und die Kraft, aus dem Osten heraus Zukunft zu gestalten.
© SPACEOPTIX
Dr. Matthias Beier und Frances Beier sitzen mit uns im Gespräch, und schon nach wenigen Minuten wird klar: SPACEOPTIX tickt anders. Das Unternehmen fertigt Spiegel in Nanometer-Präzision für Satelliten, die künftig Europa unabhängig von amerikanischer Technologie machen sollen. Doch der eigentliche Unterschied liegt nicht in der Technologie – sondern in der Haltung.
Das Raumschiff aus Weimar
"Weltraumtechnik aus Weimar – das ist nicht nur Goethe und Schiller", sagt Frances Beier mit einem Lächeln. Tatsächlich entstehen in der Region zwischen Jena und Grammetal auf über 3.000 Quadratmetern Produktionsfläche optische Systeme, die in wissenschaftlichen Satelliten zum Jupiter, zum Merkur und bald in europäischen Kommunikationssatelliten fliegen.
Die Zahlen beeindrucken: Rund 5 Millionen Euro Jahresumsatz, über 30 hochqualifizierte Mitarbeiter – vom Industriemechaniker bis zum promovierten Physiker – und ein Auftragsbuch, das die Produktion in den kommenden Jahren verzehnfachen wird. Von aktuell 5 auf 50 Laser-Kommunikationssysteme jährlich für den TESAT-Auftrag. Europäische Technologiesouveränität, Stück für Stück aus Thüringen.
Doch der Weg dorthin verlief fundamental anders als bei den meisten Tech-Gründungen.
"Wir wollten die Kontrolle behalten"
Die Szene lässt sich gut vorstellen: Zwei promovierte Wissenschaftler mit 20 Jahren Forschungserfahrung am Fraunhofer Institut, eine nachweislich funktionierende Technologie und die Aussicht auf einen boomenden Markt. Normalerweise folgt jetzt: Pitch vor Investoren, Accelerator-Programme, Millionen-Runden und Hockey-Stick-Wachstum.
"Es kamen Leute, die sagten, ihr müsst erstmal in unseren Accelerator, dann zeigen wir euch, wie das richtig geht", erinnert sich Matthias Beier. "Wir haben uns gedacht: Eigentlich wissen wir ja, wie es geht. Wir brauchen die Maschinen, wir brauchen das Geld dafür. Aber wir können ab Tag eins Hardware produzieren und Umsätze generieren."
Diese Entscheidung – organisches Wachstum statt Venture Capital – war bewusst. Und sie hat einen tieferen Grund, der mit der Region zu tun hat, in der SPACEOPTIX entstanden ist.
Ostdeutsche DNA: Aufbauen, nicht verkaufen
"Der Handwerker will seinen eigenen Hof haben", zitiert Sebastian Meier im Gespräch Christian Grötsch von dotSource. "Es geht nicht darum, in zehn Jahren den großen Exit zu machen und auf den Malediven zu verschwinden." Frances Beier nickt: "Das stimmt absolut. Wir wollten, dass diese Technologie hier bleibt. Dass wir hier Arbeitsplätze schaffen, eine Perspektive aufbauen."
Es ist ein Unterschied ums Ganze: Während in München oder Berlin Start-ups häufig mit dem Ziel gegründet werden, sie nach fünf bis sieben Jahren zu verkaufen, geht es hier um langfristigen Aufbau. Um Verwurzelung. Um Verantwortung für die Region.
"Diese Technologie wurde hier in Jena am Fraunhofer Institut über 20 Jahre entwickelt", erklärt Matthias Beier. "Da fliegen schon Teile zum Jupiter, zum Merkur. Wir wollten einfach, dass das, was von hier kommt, auch hier bleibt und nicht wieder raus in die große weite Welt geht."
Diese Haltung prägt das gesamte Unternehmen. Die Produktionsstätte in Isseroda schafft High-Tech-Arbeitsplätze zwischen Weimar und Erfurt. Die Mitarbeiter werden aktiv aus der Region rekrutiert. Die Nähe zu Forschungseinrichtungen, zur Friedrich-Schiller-Universität, zum Abbe Center of Photonics wird konsequent genutzt.
Der unterschätzte Erfolgsfaktor: Sichtbarkeit
Vier neue Mitarbeiter über den Podcast. Ein Messebesucher aus Darmstadt, der SPACEOPTIX nicht als Firma, sondern über den Podcast erkannte. Und ein Banner am Pendlergleis im Erfurter Bahnhof. Kommunikation ist bei SPACEOPTIX kein Beiwerk – sie ist ein strategischer Erfolgsfaktor.
"Wir sind in Weimar, und selbst in Weimar haben die wenigsten den Namen SPACEOPTIX gehört", sagt Matthias Beier unverblümt. "Wir müssen das zeigen." Der "Space For"-Podcast entstand aus dieser Erkenntnis. Frances Beier, mit Hintergrund in Journalismus und Marketing, fragte sich: "Warum nicht? Das ist verschenkt."
Was folgte, war ein systematischer Aufbau von Sichtbarkeit. Der Podcast läuft seit mehreren Jahren, behandelt Themen wie europäische Raumfahrtpolitik und nachhaltige Raumfahrt, macht komplexe Technologie verständlich. Dazu kommen gezielte Werbekampagnen zur Fachkräftegewinnung, Messepräsenzen, TV-Beiträge.
"Größtes Problem: Fachkräfte", bringt es Matthias Beier auf den Punkt. "Und wie erreichen wir die? Indem wir zeigen, was wir machen. Indem wir erklären, dass Raumfahrt nicht nur Marsmännchen sind, sondern eine Branche, die uns hier, wie wir hier sitzen, schon beeinflusst."
Die Erkenntnis dahinter: In der ostdeutschen Unternehmerlandschaft wird zu wenig über Erfolge gesprochen. "Die reden da ungern drüber", stellt Moritz Wasserek fest. "Und genau da müssen wir ansetzen. Durch Storytelling. Weil zu deinem perfekten Produkt, deiner Deep Tech, gehört leider Gottes auch, Stories drumherum zu bauen."
Handwerk trifft Hightech: Der eigentliche USP
SPACEOPTIX fertigt Spiegel aus Aluminium mit Nanometer-Präzision. Klingt simpel, ist es aber nicht. "Unsere Optiken sind wild geformte, von der Kugelform abweichende Spiegel", erklärt Matthias Beier. "Freeform-Optik. Das in der Fertigungstechnik herzustellen ist schwierig, in der Messtechnik noch schwieriger. Und dann noch zu integrieren – noch viel schwieriger."
Der Unterschied zur klassischen Optik-Industrie? Die arbeitet mit Glas, Glaskeramik, Keramik. SpaceOptics macht es in Metall. Und liefert nicht nur Komponenten, sondern komplette Subsysteme – also fertig integrierte Teleskope, vermessen, justiert, einsatzbereit für Erdbeobachtung oder Satellitenkommunikation.
"Der USP ist die Kombination aus sehr gutem Handwerk und hoher Ingenieurskunst", fasst Matthias Beier zusammen. "Wir haben alle da – vom Industriemechaniker bis zum promovierten Physiker. Und die brauchen wir auch alle."
Diese Verbindung von Handwerk und Wissenschaft ist typisch für den Jenaer Optik-Cluster. Über 13.500 Beschäftigte arbeiten in der Region in der Photonik-Branche, mit 2+ Milliarden Euro Jahresumsatz und durchschnittlich 10% jährlichem Wachstum. Carl Zeiss, Jenoptik, Jena-Optronik – und mittendrin die New Space-Player wie SPACEOPTIX.
New Space: Europa holt auf
Der größere Kontext macht die Geschichte noch spannender. Beim deutschen Weltraumkongress in Berlin wurde deutlich: Europa will sich unabhängig machen von nicht-europäischen Technologien. "70 Prozent der Investitionen sind aktuell in den USA", erklärt Matthias Beier. "Europa macht gerade 10 Prozent. Aber wir sind dran."
Das europäische Starlink (Iris Square), deutsche Microlauncher, eigene Satelliteninfrastruktur – überall entstehen europäische Alternativen. Und SPACEOPTIX ist mittendrin. "Raumfahrt ist eine Enabling-Technologie", betont Matthias Beier. "Wie Halbleiterindustrie, KI, Robotik. Sie stellt die Weichen für viele Technologien, die erst kommen."
Die Skalierung der TESAT-Produktion von 5 auf 50 Systeme jährlich ist Teil dieser europäischen Unabhängigkeitsstrategie. Deutschland braucht diese Technologie. Europa braucht sie. Und sie kommt aus Thüringen.
Die nächste Generation
"Habt Mut, macht es", lautet die Botschaft von Moritz Wasserek und Sebastian Meier an die nächste Generation. "Das Gute ist: In Thüringen und Ostdeutschland gibt es so viele Netzwerke. Wenn man möchte, findet man immer jemanden, der helfen kann."
SPACEOPTIX beweist: Es funktioniert. Ohne Millionen-Runden, ohne Accelerator, ohne den klassischen Start-up-Zirkus. Dafür mit echter Substanz, technologischer Exzellenz und dem Willen, hier etwas Langfristiges aufzubauen.
Das Unternehmen zeigt auch: Kommunikation muss von Anfang an mitgedacht werden. "Es ist nicht so, dass man erst das Produkt perfekt machen muss und dann kümmert man sich um Marketing", betont Frances Beier. "Die Denke muss sich ändern: Von Kostenstelle zu Möglichmacher."
Und es demonstriert: Ostdeutsche Unternehmen können auf Augenhöhe mit internationaler Konkurrenz spielen. Der Fraunhofer-Preis 2023 (€50.000) für die LisR-Technologie, der Thüringer Innovationspreis 2020, die Zertifizierung als "Hidden Champion Thüringen" – das sind keine regionalen Trostpflaster, sondern Anerkennung echter technologischer Spitzenleistung.
Space für Ostdeutschland
"Wofür würdet ihr “Space vormachen”?", fragt Frances Beier zurück. Die Antwort der EASTSIDE HEROES ist klar: "Raum geben, dass das Unternehmertum ins richtige positive Licht gestellt wird. Es gibt so viele unglaublich spannende Geschichten, Geschäftsmodelle, Persönlichkeiten. Dass alle die kennen und wissen, wo sie Informationen herholen können – dafür braucht es viel mehr Raum."
SPACEOPTIX ist eine dieser Geschichten. Eine, die zeigt: Es geht. Hier, aus Thüringen heraus, lassen sich Technologien entwickeln, die Europa voranbringen. Mit organischem Wachstum, regionaler Verankerung und dem klaren Willen, nicht nur ein Unternehmen aufzubauen, sondern eine Perspektive für die Region zu schaffen.