Bye-bye Handel: Warum Marken im D2C-Zeitalter Kontrolle, Marge und Nähe zurückgewinnen— mit Tobias Reich (constancy)
Tobias Reich (constancy) und Moritz Wasserek (ESH) in den Räumen von constancy in Jena
Der Handel war jahrzehntelang das Tor zum Kunden – heute ist er das Nadelöhr.
Im digitalen Zeitalter gewinnen Marken ihre Macht zurück: Sie verkaufen direkt, kommunizieren direkt und lernen direkt. Der technische Begriff dafür lautet D2C – Direct-to-Consumer. Doch dahinter steckt mehr als ein neuer Vertriebskanal. Es geht um Kontrolle, Marge und Nähe.
Tobias Reich, Geschäftsführer der Jenaer E-Commerce-Agentur constancy, zeigt im EASTSIDE HEROES Podcast, warum traditionelle Marken den Handel hinter sich lassen müssen, wenn sie im digitalen Zeitalter wachsen wollen – und wie sie das mit Automatisierung, Mut und klarem Prozessdenken schaffen.
Vom Auftragsgeschäft zum Partnerschaftsmodell — „Wir nennen unsere Kunden Partner“, sagt Tobias Reich. „Viele sind seit über 15 Jahren bei uns – nicht, weil wir Knebelverträge haben, sondern weil es funktioniert.“
Constancy begleitet Markenunternehmen oft über Jahre – mit einem Modell, das mehr ist als Agenturgeschäft. Das Team übernimmt komplette D2C-Prozesse: vom Online-Shop über Buchhaltung und Retourenmanagement bis hin zu Performance-Marketing.
Reichs Ansatz ist pragmatisch: kein Bullshit, sondern Prozesskultur. „Wir arbeiten mit Marken, die seit Jahrzehnten produzieren. Für sie ist D2C keine Kampagne, sondern Transformation.“
D2C als Emanzipation: Marken befreien sich vom Handel
Lange galt der Fachhandel als unantastbar. Hersteller fürchteten, ihre Vertriebspartner zu verärgern. Doch spätestens seit der Pandemie ist klar: Wer nicht selbst digital verkauft, verliert die Kundenschnittstelle – und damit langfristig auch Relevanz.
„Früher war der Handel der Gatekeeper“, sagt Reich. „Heute ermöglicht D2C jeder Marke, ihre Kundschaft endlich kennenzulernen – mit Daten, Emotionen und Feedback in Echtzeit.“ Letztlich geht es auch darum, eigene Kundendaten aufzubauen und damit den eigenen Unternehmenswert zu steigern. Und diese Nähe verändert alles: Produktentwicklung, Storytelling, Marketing. D2C ist für Reich kein Trend, sondern eine Haltung – die Unabhängigkeitserklärung einer Marke.
Warum bleiben viele Mittelständler trotzdem im alten Modell hängen? „Meist ist es Angst“, erklärt Reich. „Angst vor Retouren, vor Endkunden, vor Komplexität – oder einfach fehlende Strukturen.“
Viele Traditionsmarken arbeiten mit ERP-Systemen, die für den Großhandel gebaut wurden. Doch D2C verlangt Dynamik. „Manche Hersteller haben noch Excel als Produktdatenbank“, erzählt Reich lachend. „Bevor du da an Onlinehandel denkst, musst du erstmal Datenqualität schaffen.“
Sein Tipp: D2C klein denken, aber konsequent starten. Ein sauberer Online-Shop, eine automatisierte Buchhaltung und ein funktionierender Retourenprozess sind oft die halbe Miete.
Wie constancy Marken digital neu aufstellt
Ob Porzellan, Gartenmöbel oder Spielwaren – constancy denkt Markenprozesse ganzheitlich. Der Startpunkt ist meist derselbe: ERP-Integration, automatisierte Fakturierung, Plattformanbindung. „Wenn wir einen Prozess dreimal anfassen müssen, automatisieren wir ihn“, sagt Reich.
2015 holte constancy die komplette Buchhaltung für das Thema eCommerce ins Haus. Seitdem laufen Landessteuern, Zahlungsanbieter-Abgleiche und Marktplatz-Abrechnungen automatisiert. Das Ergebnis: mehr Skalierung bei weniger Aufwand.
„Automatisierung ist kein Selbstzweck“, sagt Reich. „Sie schafft Freiheit für Marke und Wachstum.“
Die meisten D2C-Marken starten heute mit Shopify. Verständlich, sagt Reich: „Schnell, günstig, skalierbar.“ Aber ab einem bestimmten Punkt reicht das nicht mehr. „Sobald du Produktion, Lager oder ERP einbinden musst, brauchst du Systeme, die mitwachsen. Dann zählt nicht das Tool, sondern die Prozessintelligenz dahinter.“
Diese Haltung zieht sich durch alle constancy-Projekte: Technologie folgt Strategie – nicht umgekehrt.
Markenvertrauen als USP
Digitaler Handel funktioniert nicht über Rabatte, sondern über Vertrauen. „Der Kunde muss spüren, dass die Marke digital dieselbe Haltung hat wie im Laden“, erklärt Reich. Das gelingt mit Service, Authentizität und einem echten Mehrwert.
Er erzählt ein Beispiel: Ein Kunde verliert nach zehn Jahren den Deckel seiner Lieblingskanne. „Bei uns bekommt er Ersatz – das macht kaum Umsatz, aber maximal Bindung.“ Genau diese Einstellung trennt gute Marken von austauschbaren Webshops.
Best Practices & Learnings
Reich fasst zusammen, was erfolgreiche D2C-Marken eint:
„Die besten Marken denken ihre Customer Journey als Ganzes – von der Markenbildung über den Kauf bis zum After-Sales.“
Das bedeutet:
Bestandskundenprogramme statt Neukundenstress — Stichwort Customer-Livetime-Value(CLV)
Personalisierte E-Mails statt generischer Werbung — denn Bestandskundenumsatz ist günstiger als Customer-acquisition-costs (CAC)
Aktionen mit Sinn statt Preis-Schleudern
Und vor allem: Kommunikation. „Unsere erfolgreichsten Partner sprechen wöchentlich mit uns – manchmal täglich. D2C ist ein Mannschaftssport.“
Aus Jena für den Osten – und weit darüber hinaus
Dass constancy aus Jena kommt, ist kein Zufall. Hier, wo Intershop einst den E-Commerce mitbegründete, entstand ein Ökosystem aus Digitalagenturen, Tech-Talenten und mutigen Unternehmer:innen.
„Jede Firma hier ist ein Glied in der Kette“, sagt Reich. „Wir empfehlen uns gegenseitig, teilen Know-how und wachsen gemeinsam.“
Genau das ist auch die Vision von EASTSIDE HEROES: Eine neue Generation ostdeutscher Macher:innen, die nicht über Förderung redet, sondern über Fortschritt. Marken, die heute noch zögern, den Schritt in den D2C-Handel zu gehen, riskieren mehr als sie gewinnen.
„Wer bis jetzt keinen eigenen Shop hat, hat dafür Gründe. Aber genau die sollte man hinterfragen“, sagt Reich. Sein Appell: „Mut zum Wandel. Der Handel bleibt wichtig – aber D2C ist die Zukunft. Denn wer seine Kund:innen kennt, verliert nie die Kontrolle.“
🎧 Jetzt reinhören in unseren neuen Podcast mit Tobias Reich von constancy